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Isaak Dunaevskij im Musikleben der Sowjetunion. Individuelle Erfahrung und strukturelle Hintergründe einer Karriere in der stalinistischen Diktatur

In den Jahren 1998 bis 2000 wurde von der Volkswagen-Stiftung Hannover am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Universität Erlangen das Forschungsprojekt „Isaak Dunaevskij im Musikleben der Sowjetunion. Individuelle Erfahrung und strukturelle Hintergründe einer Karriere in der stalinistischen Diktatur“ zur Kulturgeschichte des Stalinismus gefördert.
Isaak Dunaevskij im Musikleben der Sowjetunion – das Thema handelt von einer außergewöhnlichen Karriere eines Popularmusikkomponisten und -dirigenten in der Stalin-Zeit. Der künstlerische und gesellschaftliche Aufstieg des Musikers Dunaevskij war nahezu einmalig und als solcher nicht im Sinne einer Massenerscheinung repräsentativ für jene Jahrzehnte. Dennoch ist der Lebensweg dieses Künstlers aufgrund seiner Bedeutung und seiner Zentralität im stalinistischen Kulturleben von generalisierbarem Betrachtungs- und Aussagewert, schließlich ging Dunaevskij als der Musterkomponist jener Epoche schlechthin in die Geschichte ein, sein Schaffen war – und ist noch – klingendes Symbol der Stalin-Zeit. Dunaevskijs Karriere öffnet den Blick nicht nur auf die individuelle Erfahrung eines erfolgreichen Künstlerlebens in der Sowjetunion, sondern auch auf Strukturen und Grundkonstanten von Musik- und Kulturleben in der Stalin-Zeit. Beide Betrachtungslinien lassen sich zudem mit allgemeineren Schlussfolgerungen zum Stalinismus und seiner historischen Erklärung verbinden.
Der Blick auf Isaak Osipoviè Dunaevskij offenbart einen ungewöhnlich erfolgreichen Lebensweg. Es ist der Weg eines musikbegabten jüdischen Jungen aus der Ukraine an die Spitze der sowjetischen Unterhaltungsmusik. Über verschiedene Theater und Kleinkunstbühnen gelangte Dunaevskij Ende der zwanziger Jahre an die neu eröffnete Leningrader Music Hall, die ihm als Sprungbrett für seine Karriere in der sowjetischen Filmmusik diente. Durch das Kino wurde Dunaevskij zum populärsten Komponisten der stalinistischen Sowjetunion, er wurde von den breiten Hörermassen und der sowjetischen Kulturpolitik in den dreißiger Jahren gleichermaßen geschätzt. Neben seiner künstlerischen Karriere vollzog Dunaevskij auch einen gesellschaftlich-politischen Aufstieg: Er wurde als Vorsitzender des Leningrader Komponistenverbandes zum Repräsentanten der sowjetischen Kulturpolitik und als Abgeordneter des Obersten Sowjet zum offiziellen Vertreter des stalinistischen Regimes. Dunaevskijs Karriere im Sowjetstaat schienen keine Grenzen mehr gesetzt – und das, obwohl er weder Parteimitglied war noch über besondere Protektion von offizieller Seite verfügte. Dunaevskijs Aufstieg gründete sich primär in der ungekannten Beliebtheit und der gleichzeitigen ideologischen Adäquatheit seiner Musik. Er war überzeugter Sowjetbürger, stellte sich uneingeschränkt hinter die Politik des Regimes, verehrte Stalin – und war doch ein kritischer, scharfsinniger Geist, der kein Blatt vor den Mund nahm und höchste Anforderungen an sich selbst und andere stellte. Bei aller Loyalität gegenüber dem Sowjetregime blieb Dunaevskij ein offener und aufrichtiger Mensch, der sich nicht scheute, neben überzeugter Lobpreisung des stalinistischen Staates auch wahrgenommen Defizite zu benennen.
Diese mutige Aufrichtigkeit sollte ihm nach dem Krieg (in Verbindung mit anderen Faktoren wie seiner jüdischen Herkunft oder von Kollegen und Neidern initiierten Intrigen) das Leben schwer machen. Zwar wurde Dunaevskij nicht existentiell repressiert, die Vorgänge um ihn herum zwangen in jedoch seit 1948 zunehmend zu einem Rollenwechsel: Aus dem Repräsentanten des stalinistischen Systems wurde ein scharfsinniger Kritiker von dessen Kulturpolitik. Insgesamt freilich blieb seine Einschätzung der Stalin-Zeit positiv und von Erfolg, Anerkennung und persönlichem Wohlstand geprägt. Dunaevskijs biographisches Beispiel zeigt, dass es möglich war, jene Jahre von allen Schrecken weitgehend unberührt zu durchleben, sich mit der Stalin-Zeit und ihren Vorgängen zu identifizieren, ein überzeugtes und fruchtbares Leben zu führen. Dunaevskijs Biographie zeigt auch, dass Zweifel am System bevorzugterweise erst dann aufkamen, wenn man selbst in irgendeiner Form betroffen war bzw. zur Unzufriedenheit Anlass hatte; Dunaevskijs Wandlung vom scharfen Ankläger in der stalinistischen Kulturpolitik zu ihrem scharfsinnigen Kritiker wurde hervorgerufen durch das unmittelbar persönliche Erleben und Empfinden. Dass Dunaevskij gleichzeitig eine positive Bilanz der von ihm durchlebten Epoche zog, ist ein eindrucksvolles Beispiel für das Integrations- und Überzeugungspotential der Stalin-Zeit.
Die Betrachtung des Lebensweges von Isaak Dunaevskij öffnet gleichzeitig Perspektiven auf Strukturen und Prozesse im sowjetischen Musikleben jener Jahre, insbesondere was die Unterhaltungsmusik anbelangt: Die Gründung einer „Music Hall“ in einer Zeit, in der man eigentlich nach genuin „sowjetischer“ Unterhaltungskultur suchte, und die Probleme, die in der Zeit der „Kulturrevolution“ und danach für jenes ausländisch beeinflusste Vergnügungsgenre entstanden; die Entstehung des sowjetischen Musikfilms auf ihrer Basis und die ideolgisch aufgeladenen Diskussionen um den richtigen Weg auf diesem Gebiet; der Wandel im sowjetischen Musikleben um 1936 in Richtung Folklorisierung, Lyrisierung, Solemnisierung; die Grundlegung „sowjetischer“ Popularmusik und einer patriotisch-musikalischen Massenkultur durch Isaak Dunaevskij; Funktion und Wirkungsweise des sowjetischen Komponistenverbandes; schließlich die kulturpolitischen Kampagnen der Nachkriegszeit aus dem Blickwinkel der Unterhaltungsmusik.
Darüber hinaus lassen sich mit der Analyse von Dunaevskijs Karriere auch allgemeinere Momente für das historische Verständnis der Stalin-Zeit festhalten. Sie liegen insbesondere in der Erkenntnis und Akzeptanz des „Nichtstalinistischen“ im „Stalinismus“, da sie traditionellen Vorstellungs- und Erklärungsmuster für jene Epoche widersprechen. Weder Dunaevskijs Karriere, die ihr primäres Movens in der Beliebtheit beim Volk hatte, noch die Feststellung, dass das sowjetische Musikleben – trotz diverser politischer Eingriffe – keineswegs nach dem Prinzip des „Knopfdrucks von oben“ funktionierte, sondern voller Eigengesetzlichkeiten, Kommunikationen und Verhandlungen steckte, sind im herkömmlichen Sinne typisch für den „Stalinismus“. Das sowjetische Musikleben wurde innerhalb der Koordinaten politischer Grundentscheidungen und ihrer administrativen Verarbeitung, künstlerischer Kompetenz und ihrer individuellen Ausprägung sowie gesellschaftlicher Kulturinteressen mit ihren verschiedenen Rezeptionsformen ge­staltet.
Gerade auch zu letzterem Faktor, dem sowjetischen Massenpublikum und seiner kulturellen Lebenswelt liefert die Betrachtung von Dunaevskij bzw. seiner Musik wichtige Aufschlüsse. Dunaevskij als beliebte Persönlichkeit und seine Lieder, Walzer, Romanzen, Märsche etc. trugen ihren nicht geringen Teil zur angenehmen, wohlklingenden Ausgestaltung sowjetischer Lebenswelten bei und bildeten somit zentrale kulturelle Erscheinungen in der Epoche Stalins. Die Wirkung von Dunaevskijs Musik ging freilich über die Verbreitung von kurzzeitiger angenehmer Stimmung und froher Laune weit hinaus, sie sorgte mit für eine positive Integration der Menschen in den stalinistischen Staat und seine Gesellschaft, da sie mit ihrer Heiterkeit und Lebensfreude einen wichtigen Part in der glaubhaften Verkündung märchenhafter gesellschaftlicher Idealzustände übernahm. Dunaevskij als Person und sein Werk waren in der Stalin-Zeit keine Nebensache, sondern zählten zu jenen Faktoren, die das Leben attraktiv machten, zumindest den Glauben an die Attraktivität aufrecht erhielten. Sie trugen zu jenem Grundkonsens weiter Bevölkerungsteile bei, ohne den kaum ein politisches Regime lange existieren kann; die Stabilität des sowjetisch-stalinistischen Systems ist nicht nur mit Druck und Zwang zu erklären, sondern auch mit erfolgreicher Integration – für heutige wohlwollende Reminiszenzen an vergangene, angeblich glücksselige Tage zu Stalins Zeiten gilt das umso mehr.
Projektleitung:
Prof. Dr. Helmut Altrichter, Emeritus

Beteiligte:
Prof. Dr. Matthias Stadelmann

Laufzeit: 1.8.1998 - 31.10.2000

Förderer:
Volkswagen-Stiftung, Hannover

Kontakt:
Stadelmann, Matthias
Telefon 09131/8522363, E-Mail: Matthias.Stadelmann@fau.de
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