UnivIS
Informationssystem der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg © Config eG 
FAU Logo
  Sammlung/Stundenplan    Modulbelegung Home  |  Rechtliches  |  Kontakt  |  Hilfe    
Suche:      Semester:   
 Lehr-
veranstaltungen
   Personen/
Einrichtungen
   Räume   Forschungs-
bericht
   Publi-
kationen
   Internat.
Kontakte
   Examens-
arbeiten
   Telefon &
E-Mail
 
 
 Darstellung
 
Druckansicht

 
 
 Außerdem im UnivIS
 
Vorlesungs- und Modulverzeichnis nach Studiengängen

Vorlesungsverzeichnis

 
 
Veranstaltungskalender

Stellenangebote

Möbel-/Rechnerbörse

 
 
Einrichtungen >> Philosophische Fakultät und Fachbereich Theologie (Phil) >> Department Geschichte >> Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte mit dem Schwerpunkt der Geschichte Osteuropas (Prof. Dr. Obertreis) >>
Russland 1989. Die Erosion eines Systems, der Zerfall einer Weltmacht, das Ende einer Epoche

In seiner Antrittsrede nach der Wahl zum Parteichef kündigte Gorbac¡ev (im März 1985) an, auf dem von seinen Vorgängern vorgezeichneten Weg fortzuschreiten, was Kontinuität und Wandel zugleich versprach. Auf dem Gebiet der Außenpolitik sei es »das erste Gebot für Partei und Staat«, »die brüderliche Freundschaft mit unseren engsten Kampfgefährten und Verbündeten - den Ländern der großen sozialistischen Gemeinschaft - zu hüten und allseitig zu festigen«. Was die Beziehungen zu den kapitalistischen Staaten betraf, so wollte man den »Leninschen Kurs des Friedens und der friedlichen Koexistenz strikt [weiter] verfolgen«, verbunden mit dem Versprechen, »guten Willen immer mit gutem Willen« und »Vertrauen mit Vertrauen« zu beantworten. Für die Innenpolitik hieß das Schlagwort: »Beschleunigung« der sozialökonomischen Entwicklung, worunter der Neue vor allem Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger planmäßiger Weiterentwicklung der Wirtschaftsordnung und Festigung des sozialistischen Eigentums verstanden wissen wollte; es gelte, die Selbständigkeit der Betriebe und ihr Interesse am Ergebnis ihrer Arbeit zu »erhöhen«; es sei die Demokratie wie das gesamte »System der sozialistischen Selbstverwaltung des Volkes zu vervollkommnen« und dabei insbesondere die Stellung der Sowjets »zu stärken«. Im Rückblick ist offensichtlich, daß er mit dieser Zielsetzung scheiterte.
Die Gründe waren vielfältig: Mit Stoßkampagnen gegen Trunksucht und Korruption ließ sich die angepeilte »Beschleunigung« (uskorenie) der sozialökonomischen Entwicklung nicht erreichen, für den nachfolgenden »Umbau«, die perestrojka des Wirtschaftsystems fehlte ein klares Konzept; sie stellte Stück um Stück zur Disposition, was noch vor kurzem als unverzichtbar gegolten hatte und erreichte schließlich einen Zustand, dessen chaotisches Erscheinungsbild mit der Formel »Das Alte funktionierte nicht mehr und das Neue noch nicht« umschrieben wurde. Die angestrebte Stärkung der Sowjetdemokratie und Wiederaufwertung der Räte war nur über eine Reform des Wahlsystems und eine Parlamentarisierung der Entscheidungsprozesse zu erreichen; sie gab damit zugleich abweichenden Anschauungen und konfligierenden Interessen Sitz und Stimme; deren Sprengkraft versuchte eine weitere Verfassungsänderung mit der Einführung eines Präsidialsystems gegenzusteuern, allerdings ohne dieses Ziel auch nur annähernd zu erreichen. Die neue »Offenheit« (glasnost') sollte bei gleichzeitiger Lockerung der Zensur Mängel und Fehlentwicklungen zur Sprache bringen und die Identifizierung des einzelnen mit dem Gemeinwesen stärken; doch einmal propagiert, ließen sich der Offenheit nur schwer wieder Grenzen setzen, die Kritik an der Gegenwart bezog rasch auch die dunklen Seiten der Vergangenheit mit ein und stellte damit Zug um Zug in Frage, was bisher zu den ideologischen Grundlagen des Gesamtsystems gehört hatte. Die Diskussion darüber zerriß selbst die Partei, ließ sie in Gruppen und Fraktionen zerfallen, unterminierte ihren Führungsanspruch, wie er in Artikel 6 der Verfassung festgeschrieben war, und zwang schließlich zu dessen Aufgabe. Daß die kommunistische Partei ihre integrative Kraft eingebüßt hatte, zeigten nicht zuletzt die Auseinandersetzungen zwischen den ethnischen Gruppen, die Windeseile mit der sie sich seit 1988/89 ausbreiteten und die schier unvorstellbare Härte, mit der sie vielerorts ausgefochten wurden; mit ihnen erwies sich das so oft beschworene Bild vom »großen, einigen Sowjetvolk« als Illusion. Angesichts dieser Entwicklungen war die Sowjetunion nicht weiter in der Lage, ihre Führungsfunktion im Kreise der »großen sozialistischen Gemeinschaft« wahrzunehmen und zu verhindern, daß deren Mitglieder ihre eigenen Wege gingen. Längst schienen die Prioritäten sowjetischer Außenpolitik auch andere zu sein: Um den Problemen im Innern beizukommen, war es unentbehrlich, das Wettrüsten zu beenden und das Verhältnis zu den westlich-kapitalistischen Staaten auf eine neue Grundlage zu stellen; nur dann war eine Aufhebung des Technologieembargos zu erwarten, eine Reduzierung der gewaltigen Rüstungsausgaben und eine Allokation der Ressourcen zugunsten des zivilen Bereichs möglich. Tatsächlich gelang der sowjetischen Außenpolitik bei der Abrüstung der große Durchbruch; doch der erhoffte durchschlagende Effekt, die Trendwende in der Wirtschaftsentwicklung und die Entlastung für die Innenpolitik blieben aus. Im Innern wurden die außenpolitischen Erfolge als solche kaum mehr wahrgenommen, nur noch der Zerfall des Imperiums und der Verlust der einstigen Hegemonialstellung vermerkt - und zum Nährboden für eine sich allmählich formierende »rot-braune« Opposition.
Die geplante Studie soll – am Schlüsseljahr 1989 – zeigen, wie der Weg von der »Beschleunigung« des Fortschritts zum »Umbau des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems«, von der »Rückkehr zur Rätedemokratie« zur Präsidialverfassung, von der »Erneuerung des Marxismus-Leninismus« zu dessen Selbstauflösung als Staatsideologie, von der »Demokratisierung der Partei« zur Aufgabe ihres Machtmonopols, vom Aufstand der Nationalitäten zu ihrer Sezession führte und die Außenpolitik, trotz ihrer Erfolge, diesen Prozeß nicht abzustoppen verstand, ja eher noch beschleunigte, und gleichzeitig mit dazu beitrug, die Nachkriegsgeschichte und die sie prägende bipolare Weltordnung zu einem Ende zu bringen. Die Darstellung soll zeigen, wie dabei Außen- und Innenpolitik ineinandergriffen, und bei der Erklärung des Gesamtphänomens, außenpolitik- und politikgeschichtliche, ideen-, sozial- und kulturgeschichtliche Ansätze mit einander zu verbinden sind. Dabei werden auch die unterschiedlichen Transformationstheorien auf ihren Erklärungsgehalt zu untersuchen sein. Mit der Untersuchung »Rußland 1989«, das Ende der »alten« Sowjetunion, versucht der Antragsteller ein Gegenstück zu seiner Studie über das Revolutionsjahr 1917, den Anfang der sowjetischen Geschichte, vorzulegen. Dank eines Stipendiums des Historischen Kollegs München war der Bearbeiter vom 1. Oktober 2001 bis 30 September 2002 von seinen Lehrverpflichtungen freigestellt. Die Studie soll bis zum Sommer 2003 fertiggestellt und im Winter 2003/04 im C.H. Beck Verlag München erscheinen.
Beteiligte:
Prof. Dr. Helmut Altrichter, Emeritus

Laufzeit: 1.10.2001 - 31.8.2003

Kontakt:
Altrichter, Helmut
Telefon 09131/8522363, E-Mail: helmut.altrichter@gmx.net
UnivIS ist ein Produkt der Config eG, Buckenhof