Projekt

Die Geschichte der europäischen Novellistik ist eng verbunden mit der Kulturgeschichte des Erzählens seit der frühen Neuzeit und damit, wie bereits Walter Benjamin konstatiert, mit dem medialen Wandel von einer vorwiegend mündlichen zur dominant schriftlichen Kommunikationskultur.
Während die literaturwissenschaftliche Novellenforschung bisher in erster Linie formale oder themenbezogene Kriterien zur Bestimmung der Gattung entwickelte, rückt das hier betriebene Forschungsprojekt die funktonsgeschichtliche Dimension in den Vordergrund und fragt danach, in welcher Weise die sich wandelnden (medaial bedingten) gesellschaftlichen kommunikationsstrukturen vom Spätmittelalter bis zur Moderne bzw. Postmoderne sich in nevellistischen Erzählkonzepten spiegeln bzw. durch diese problematisiert oder bewältigt werden. Die Hauptthese lautet, daß die zunehmende Etablierung einer schriftlichen Literaturkultur, die mit einem Verlust unmittelbarer alltäglicher Erzählsituationen und -kompetenzen einhergeht, in der Novellistik kompensiert wird durch eine zuunehmend differenziert eingesetzte 'inszenierte Mündlichkeit' im Medium der Schrift. Dieser Prozeß wird anhand signifikanter historischer Stationen untersucht: von Vorformen novellistischen Erzählens in der mittelalterlichen Kurzepik und frühneuzeitlichen Ansätzen novellistischer Prosa über die Blütezeit der Novellistik in Klassizismus, Romantik und Realismus bis hin zu gattungsspezifischen Transformationen novellistischer Erzählstrategien in der Moderne und Postmoderne (Kurzgeschichte; Film, Fernsehserien, Internet).
Das Projekt bewegt sich damit im Schnittpunkt von Literaturwissenschaft, Kulturgeschichte, Mediengeschichte und alltagsgeschichtlicher Erzählforshcung. Geplant ist eine Monographie mit dem Titel: 'Inszenierte Mündlichkeit. Zur Kulturgeschichte novellistischen Erzählens'.